Samstag, 11. Februar 2012

Selbstmord - Ist das Leben es wert, gelebt zu werden?

Wir lesen in Philosophie gerade Jean-Paul Sartres Essay "Der Existentialismus ist ein Humanismus", in dem dies ein grundlegendes Thema ist. Unsere Aufgabe war es, diese Frage mit Einbezug der existentialistischen Theorie zu beantworten. Das habe ich daraus gemacht:



Ist das Leben es wert, gelebt zu werden? Sind Sie zurzeit glücklich, sagen Sie ja, sind Sie unglücklich, sagen Sie eventuell nein. Klingt, als wäre die Frage damit beantwortet. Doch hierbei handelt es sich um die Grundfrage der Philosophie, die, über die so ziemlich jeder Philosoph, jeder auch nur interlektuelle Mensch, sich Gedanken gemacht hat und versucht hat, zu beantworten.
Also was bedeutet es denn überhaupt, glücklich zu sein? Ist es für jeden gleichbedeutend? Und reicht es nicht vielleicht schon, nicht unglücklich zu sein und sein eigenes Leben nicht als sinnlos zu empfinden? Wann hat das Leben einen Sinn?
Fangen wir ganz am Anfang an: der Mensch in der Philosophie. Für die meisten Philosophen hat jeder Mensch bereits vor seiner Existenz eine über das Biologische hinausgehende Bestimmung, somit eine Bedeutung, also einen Sinn. Der Existentialist sieht dies jedoch anders. Er sagt, der Existenz des Menschen gehe nichts voraus. Bis zu dem Zeitpunkt, da der Mensch durch eigene Handlungen sein Wesen schafft, hat er auch keines. Am Anfang gibt es nur die Existenz, der Mensch ist ein Rohling. So scheint es doch, als wäre er von Anfang an komplett auf sich allein gestellt. Und genau so ist es. Nach dem Existentialismus ist der Mensch verlassen. Es gibt keinen Gott, oder anders ausgedrückt, es spielt keine Rolle, ob es so etwas wie ihn gibt, denn eines ist dieser Gott keinesfalls: ein Wesen, welches Werte festlegt. Der Mensch ist also selbst dafür verantwortlich, diese festzulegen. Außerhalb der conditio humana ist das menschliche Wesen nicht bestimmt, es gibt keine von Beginn an dagewesenen Schranken, keine Determinierungen. Kurz gesagt, der Mensch ist zwar frei, jedoch bedeutet dies auch, er hat nichts und er ist nichts, sein Leben ist sinnlos und absurd.
An diesem Punkt klingt es wahrlich nicht nach einem Leben, welches wir gerne leben möchten. Irgendetwas muss es doch aber geben. Oder ist der Mensch wirklich ein Verlassener, gefangen in einer sinnlosen Welt ohne jegliche Werte, in der jedem alles egal ist?
Objektive Werte scheint es nicht zu geben, doch es ist tatsächlich so, dass wir bereits etwas genannt haben, was diesem Objektiven sehr nah kommt, etwas Allgemeines. Und zwar die conditio humana. Sie beschreibt die Natur des Menschen und ist somit die einzige gemeinsame Grenze der Menschheit, und dies bedeutet doch, dass wir gar nicht verlassen sind. Über diese conditio humana kann sich jeder mit jedem identifizieren. Wir glauben, wir wären mit unserer Verlassenheit allein, doch das sind wir nicht, denn alle sind im gleichen Maße verlassen, also ist es niemand gänzlich. Dies hat Jean-Paul Sartre bereits vor über einem halben Jahrhundert erkannt und damit Hoffnung geschaffen.
Doch reicht uns das schon aus, um zu sagen, das Leben sei lebenswert? Einsam und verlassen, scheinen wir nicht zu sein, aber ist dieses Wissen genug, um eigene Werte zu schaffen? Das Problem ist, dass uns ohne feste Werte alles egal sein kann und es auch ist. Es müsste etwas geben, was dafür sorgt, dass nicht alles gleichgültig ist und tatsächlich gibt es in unserem Leben Situationen, in denen wir diese Gleichgültigkeit übersteigen. Denken wir nur an die Bauern und ihre niedrigen Milchpreise. Keiner von ihnen verdient angemessen, also gehen sie auf die Straße und demonstrieren, empören sich. Und genau das ist es. Sie revoltieren gegen etwas, was alle um sie herum plagt. Die Empörung gilt nicht ihrem alleinigen Leid, nein, dies ist eine Auflehnung, die das Leben jedes Bauern verbessern könnte, eine, die über das Individuum hinaus geht. Und diese Bauern sind bereit, alles dafür zu opfern. Die Empörung umfasst somit mehrere Aspekte eines lebenswerten Lebens. Zunächst ist sie, wie schon die conditio humana, die Lösung, die Einsamkeit zu überwinden. Wir stehen mit unserer Klage nicht allein da und können uns auch hier mit anderen identifizieren. Diese Bauern bejahen etwas, und zwar alle das Gleiche: das Erreichen eines höheren Lohns für alle Bauern. Und hier finden wir die Werte. Wir setzen uns für andere ein, sind bereit, dafür Leid zu ertragen und übersteigen somit unseren eigenen Nutzen. Diese Wertschaffung ist in jeder Lebenssituation möglich. Sobald wir etwas Ungerechtes in der Welt sehen, was uns nicht zwingend betrifft, empören wir uns. Der Obdachlose, dem seine letzte Münze geklaut wird, die dunkelhäutige Frau, die genauso viel Ansehen verdient hat wie wir, in der überfüllten Bahn allerdings alleine in einer Zweierreihe sitzt, oder sogar das Mädchen aus den Nachrichten, das von ihrem eigenen Vater misshandelt worden ist. Wir haben Mitgefühl und erschaffen somit die scheinbar fehlenden Werte.
Vielleicht sind wir also unglücklich, doch sind wir weder verlassen noch einsam, Werte schaffen wir jeden Tag, absurd ist unser Leben also in keiner Hinsicht. Zumindest im Existentialismus ist es somit nicht vorrangig das Glück, das bei der Frage nach dem Sinn des Lebens eine Rolle spielt. Das Leben hat einen Sinn, da wir es ihm geben.